Buchvorstellung: Die Welt der vier Jahreszeiten – Die Macht der Dunkelheit – Melanie Klein

Hallo Ihr Lieben,

heute möchte ich Euch den zweiten Teil einer Trilogie vorstellen, deren erster Band mich schon so fasziniert hat, dass er von mir den Goldstatus bekommen hat! Und das will etwas heißen. Ich schmeiße nur sehr selten mit 5 goldenen Zahnrädchen um mich! Aber nicht nur das, Melanie Klein hat für uns eine Menge Fragen über sich ergehen lassen und und uns so einen schönen Einblick in ihr Autoren-Dasein gegeben.
Doch um welches Buch geht es eigentlich? Um das von mir sehnlichst in Papierform erwartete Buch „Die Welt der vier Jahreszeiten: Die Macht der Dunkelheit“. Es stammt aus der Feder der jungen Autorin Melanie Klein und ist am 22. Oktober 2014 im Burg Verlag erschienen – also nach ganz neu!
Ich bin in den überaus großen Genuss gekommen, Testleserin/ Lektorin hierfür sein zu dürfen. Ich kann Euch versprechen, wem der Auftakt zu Fenja und Sisar gefallen hat, wird wieder voll auf seine Kosten kommen! Ihr könnt wieder abtauchen in diese fantastische Welt in der Freude, Leid, Verletzen und Verzeihen, Liebe und Hass so nah bei einander liegen. Lasst Euch von der Magie, der Gefahr und der Hoffnung einfangen und in eine Schlacht führen, bei der Ungewiss ist, ob sie einen wirklichen Sieger hervorbringen wird! Hier meine kleine Rezension, die geschrieben habe, nachdem ich Band 2 fertig gelesen hatte.

 

Klappentext
„Was würdest du tun, wenn die Dunkelheit droht dich auf ihre Seite zu ziehen und du dadurch die Menschen, die du liebst, in Gefahr bringst? Nachdem Fenja erneut vor Sisar und ihrem wahren Leben davonlaufen konnte, wird sie während ihrer Flucht schwer verletzt. Sie findet Hilfe und Obhut an einem fremden Ort – BirchesVil. Bei Menschen, denen sie hätte niemals begegnen dürfen, denn sie hüten ein jahrelanges Geheimnis – ein Geheimnis, von dem niemand, aber dennoch jeder weiß. Doch Fenjas einziges Ziel: das Weltenportal. Wird sie jemals dort ankommen? Wie wird ihr Leben auf der Erde dann weitergehen? Die Dunkelheit ist der jungen Prinzessin dicht auf den Fersen. Schafft sie es, ihr ohne Hilfe zu entkommen? Dazu plagen sie noch Schuldgefühle und schreckliche Träume. Aber vor allem lastet die Liebe zu Sisar schwer auf ihrem Herzen. Wird sie den jungen König jemals wieder sehen? Wenn ja, wird er ihr dann verzeihen?“
Wenn das nicht schon neugierig gemacht, dann wollt Ihr spätestens nach diesem tollen Interview wissen, wie es mit Sisar und Fenja weiter geht 😉 Viel Vergnügen und im Anschluss wartet sogar noch eine Leseprobe auf Euch 😉
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I.N.T.E.R.V.I.E.W.

 

Die Autorin Melanie Klein über sich
„Hallo zusammen, mein Name ist Melanie Klein und ich bin 28 Jahre alt. Ich schreibe, das kann ich euch genau sagen, seit dem 07. Oktober 2012. Mein Debüt-Roman „Die Welt der 4 Jahreszeiten: Das Sonne-Mond-Kind“ erschien im November 2013, worauf am 22. Oktober 2014 der zweite Band folgte. Neben dem Schreiben arbeite ich (oder neben dem Arbeiten schreibe ich ☺) seit mittlerweile neun Jahren in einer großen Logistikfirma in Hassfurt. Ich wohne und bin aufgewachsen in einem kleinen beschaulichen Dorf, inmitten des Steigerwaldes. In meiner Freizeit verbringe ich viel Zeit bei Wind und Wetter in der freien Natur mit Hund und Pferd.“

 

Frage & Antwort

 

Erst einmal herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung! Wie ich, sind bestimmt eine Menge Leute heilfroh, dass man endlich weiterlesen kann! 

Vielen Dank! 🙂

Ja, das kannst du laut sagen. Egal, wo ich hinkam, fragte man mich, wann denn endlich der zweite Teil erscheint und meine mittlerweile monotone Antwort immer nur „Ende Oktober“ war. Sogar auf Familienfeiern sagte man zu mir, was ich hier zu suchen habe, ich soll doch wieder nach Hause gehen und erst den zweiten Teil zu Ende schreiben. (was natürlich nur Spaß war) Aber nicht nur die Leser, sondern auch ich bin überglücklich mein zweites Buch endlich in den Händen halten zu können.
Ja ich kann die Ungeduld verstehen – wo ist denn mein Exemplar? *zwinker* 🙂
Das
liegt hier bei mir und hat auch schon nach dir gefragt. Ich musste es
leider vertrösten, weil unser letztes Treffen und das davor und
das davor nicht geklappt hat 

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Hattest Du mit dem Verlag gleich eine Trilogie geplant? Ich fände es unheimlich schwierig so daraufhin schreiben zu müssen, dass drei Bücher dabei heraus springen!
Ja, ich hatte mich bei meinem Verlag mit einem Exposé und einer Leseprobe des ersten Teils beworben. Da stand aber schon fest, dass die Welt der 4 Jahreszeiten eine Trilogie wird. Als ich mich dort beworben habe war das Ende des Manuskriptes ein bisschen eher, bevor Fenja in den Weißen Zauberwald ging. Nach langem Überlegen ist mir aber dann klar geworden, wenn ich nicht noch etwas mit auf den ersten Band packe, die anderen Teile einfach zu lange werden und das wollte ich ehrlich gesagt mir und dem Verlag nicht antun :). Zwischendurch war ich auch mal dabei vier Teile zu schreiben, was auch schon mit dem Verlag abgeklärt war. Von der Idee kam ich jedoch Gott sei Dank schnell wieder herunter.
Alle Achtung, da steckt eine Menge Planung, Herzblut und Entschlussfreudigkeit dahinter! Ich persönlich denke, dass Du und der Verlag eine gute Entscheidung getroffen haben 🙂

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Standen Idee und Verlauf für den zweiten Teil Deiner Geschichte schon komplett von Beginn an, oder haben sie sich erst während des Schreibens von „Das Sonne-Mond-Kind“ entwickelt?
Die Welt der 4 Jahreszeiten sollte am Anfang nur ein Einzelband werden, von daher stand Idee und Verlauf schon fest. Während dem Aufteilen und Schreiben entwickeln sich immer wieder neue Ideen und man ist mit dem schon Geschriebenen und Verlauf meist nicht ganz zufrieden, dann schreibt man um, löscht das und das, setzt das dahin und das dahin und am Ende ist alles wieder so wie vorher … Aber es sieht trotzdem besser aus und man ist mit dem Endergebnis zufriedener 🙂
Das kenne ich vom Schreiben meiner Blogbeiträge zu gut – alles 10 mal Ändern und dann doch wieder beim ersten Versuch landen… Musstest Du Dich zwischenzeitlich selbst motivieren dann weiter zu schreiben?
Nein,
eigentlich nicht direkt. Wenn ich mal mit einer Stelle überhaupt
nicht klar komme, dann lasse ich dort eine Lücke und versuche es
am nächsten Tag noch einmal, was dann meistens sehr gut
funktioniert. 
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Was erwartet uns denn in Band 2? Vielleicht nur so viel Information, dass man vor Neugier platzt? 🙂
Im zweiten Teil erfährt man im Prolog aus Sisars Sicht erst einmal wie er sich ohne Fenja so fühlt, was er von ihr denkt und was passierte nachdem ihm das Holzstück auf den Kopf fiel. Dann geht es weiter mit Fenja. Auf den ersten Seiten lernt sie neue Bewohner des Weißen Zauberwaldes kennen, natürlich auch neue Geheimnisse. Im Anschluss gerät sie an die Dunkelheit und wird dadurch schwer verletzt. Gefunden wird sie von einem jungen Mann und dessen Bruder, die sie an einen fremden Ort bringen (Traum oder Wirklichkeit, Zukunft, Gegenwart oder Vergangenheit ☺?) Sie versucht natürlich herauszufinden wer diese komischen Leute, mit diesen befremdenden Eigenarten sind, dann kommt jedoch alles anders als „geplant“ und sie ist wieder „gezwungen“ zu fliehen. Dabei helfen ihr zwei neugewonnene Freunde. Auf ihrer Flucht begegnet sie wieder einem fremden Typen, der erdische Angewohnheiten aufzeigt und aus dem Fenja nicht schlau wird. Hm, ab hier sollte ich vielleicht aufhören zu erzählen. Alle warten bestimmt darauf zu erfahren, ob Fenja wieder zu Sisar zurückkehrt … das werde ich jedoch nicht verraten. Aber vielleicht ist ein kleines Trostpflaster (oder auch nicht), dass sie auf jeden Fall nach Seattle zurückkehrt.
Puuh, das ist jetzt harter Stoff für die Leser, denn Du verrätst ja praktisch alles und nichts! Sehr gemein 😉
Ja,
ich weiß, aber das macht Spaß 
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Hattest Du nach dem Beenden von Band 1 eine Flaute? Ist man da nicht erst mal froh fertig zu sein, oder ging es direkt in die heiße Phase?
Nein, ich hatte keine Flaute, allerdings habe ich mir gezwungenermaßen eine einwöchige Schreibpause gegönnt, die ich größten Teils mit Lesen verbrachte. Ich war jedoch auch froh, als diese Woche vorüber war und ich mich endlich dem dritten und letzten Teil widmen konnte.
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Ich selbst war ja absolut heiß auf den Folgeband, wie war so das allgemeine Feedback, sind noch mehr so unheimlich froh, dass man endlich „Die Macht der Dunkelheit“ ergattern kann?
Ja, ich habe, nachdem ich mein erstes Paket vom Verlag erhalten habe, den ganzen Tag damit verbracht PN´s zu beantworten, Bücher zu signieren, Bücher zu verpacken und gefühlte einhundert Adressen auf die Briefumschläge zu schreiben. In den nächsten Tagen werde ich einen Rundgang durch die Verwandtschaft machen, um dort meine Bücher zu verteilen.
Ich hebe immer noch dezent die Hand um darauf hinzuweisen, dass ich auch noch keins habe 🙂
Ist nur noch eine Frage der Zeit ☺
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Bei vielen Autoren kann man signierte Exemplare mit Widmung erwerben, geht das bei Dir auch? Immerhin hat man dann einen richtigen Schatz in Händen, wenn Du erst mal den Durchbruch geschafft hast 😉
Wenn ich ihn schaffe 🙂 Ja, das ist durchaus möglich. Ich habe zwar nicht immer Bücher vorrätig, aber wenn jemand ein signiertes Buch haben möchte, dann dürfte das eigentlich kein Problem sein.
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Wenn wir gerade dabei sind, wo siehst Du Dich nach Abschluss der „Sonne-Mond-Kind-Saga“? Erhoffst Du Dir damit den großen Durchbruch? Zumindest hier bei uns in Deutschland?
Ehrlich gesagt … Nein. Bei mir war es Anfangs so (wäre gelogen, wenn es anders wäre), dass ich natürlich träumte, dass das Buch irgendwann mal weltweit erscheint und dann ein Film daraus wird und ich stellte mir alles ganz einfach vor. Aber so ist es leider nicht. Diese Träume flachen schon ab, sobald man die ersten Absagen von Verlagen bekommt und man irgendwann die Lust an dem Ganzen verliert, weil man das Gefühl hat, dass man irgendwie gar nicht weiter kommt. Dann recherchiert man im Internet, liest sich Erfahrungsberichte durch und fragt sich, ob man sich das wirklich antun möchte, wiegt Pro und Kontra ab und entscheidet sich im Endeffekt doch dafür ☺. Ich bin im Moment nur froh, dass mein Buch gekauft und gelesen wird, was oder ob danach was kommt, wird sich zeigen.
Wir drücken Dir ganz fest die Daumen, das Potenzial zum Durchbruch haben Deine Bücher bisher 🙂
Vielen
Dank!
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Fällt es Dir leicht die einmal gewählten Charakterzüge Deiner Protagonisten bei zu behalten? Ich meine natürlich durchlaufen sie eine Entwicklung, aber sie müssen ja Wiedererkennungswert haben.
Nein, das fällt mir eigentlich gar nicht schwer. In „Die Macht der Dunkelheit“ kommen ja noch einmal eine ganze Reihe Protas dazu. Von denen hatte ich ein genaues Bild vor Augen und ihre Charakterzüge haben sie erst beim Schreiben bekommen, die habe ich mir dann notiert, um notfalls nachschauen zu können. So war es beim ersten Teil auch.
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Gibt es für Fenja oder Sisar eine Vorlage aus Deinem wirklichen Leben, bist Du vielleicht selbst Vorlage? Oder orientierst Du Dich da ganz und gar an Deiner Fantasie?

Also nein 🙂

 

 

Ich wundere mich ehrlich gesagt, dass diese Frage nicht öfter erscheint, aber Fenja bin nicht ich, sie ist frei erfunden. Ich bin eher ein ganz geduldiger, lockerer und ruhiger Mensch, der zwar auch gerne und stundenlang redet, manchmal auch Müll und nicht meinem Alter entsprechend. Teilweise bestehe ich auf meine Meinung und diskutiere auch gerne mal. Allerdings weiß ich, wann ich den Mund zu halten habe und lasse mich auch eines Besseren belehren. Wie ich mich verhalten würde, wenn ich in eine fremde Welt geschleudert werde, weiß ich natürlich nicht :). Für Amy diente eindeutig meine Cousine als Vorlage. Der Rest entstand in meiner Fantasie.
Ich würde Deine Cousine ja zu gerne mal kennen lernen 😉
Das ist eine ganz Liebe – Amy halt ☺.
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Wie sehr fühlst Du Dich Deinen Hauptfiguren verbunden, wächst die Bindung während des Schreibprozesses? Ich stelle es mir echt nicht einfach vor, sie zum Beispiel leiden zu lassen.
Die Verbindung ist sehr stark, vor allem zu Sisar und Fenja. Sie begleiten mich schließlich schon seit zweit Jahren, Tag und Nacht. Ich behaupte, dass es keine Stunde gibt, in der ich nicht an ihnen oder an die Welt der 4 Jahreszeiten denke. Es geht sogar so weit, dass ich meinen Hund mit Sisar anspreche (er das jedoch Gott sei Dank nicht unbedingt so wahrnimmt). Leiden lasse ich sie natürlich nicht gerne, aber was sein muss, muss leider sein. Dafür leide ich ja mit ihnen und muss das Ganze auch über mich ergehen lassen. Aber man lässt sie ja auch lachen und glücklich sein, man bestimmt ja schließlich als Autor über ihr Leben, auch wenn sie mich meistens völlig ignorieren und machen was sie wollen. Es ist aber ein tolles Gefühl, wenn man mit seinen Protas heulen und lachen kann 🙂
Ich habe schon oft gelesen oder gehört, dass die Protagonisten gerne mal ein Eigenleben entwickeln, was ihre Zukunft betrifft. Überrascht Dich manchmal, wie sie ihr Schicksal lenken?
Ja, allerdings. Manchmal möchte ich sie nur noch anschreien und fragen, warum sie das jetzt gemacht oder gesagt haben. Emmet zum Beispiel: Er entwickelte sich erst während dem Schreiben zum „Bösen“, was eigentlich nicht geplant wahr. Aber er wollte es ja nicht anders.
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Gab es einen Zeitpunkt während des Schreibens, an dem Du Wendungen oder Geschehnisse aus Band 1 verflucht hast, weil sie Dich jetzt binden?
Oh, ja. Den gab es allerdings. So stark, dass ich den Fluch laut ausgesprochen habe und den Verkauf vom ersten Teil am liebsten sofort eingestellt hätte und alles noch einmal umschreiben wollte. Oder ich mit schwarzen Edding gerne über die störenden Zeilen gefahren wäre, Hauptsache weg damit, damit ich mich darum nicht in den Folgebänden kümmern muss. Aber man beruhigt sich schnell wieder, findet sich schließlich mit dem Problem ab und findet für alles eine passende Lösung.
*Herzliches Lachen meinerseits* Absolut ehrlich und erfrischend, liebe Melanie!
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Wie gehen denn Deine Familie und Freunde mit Deiner Kreativität um, mit Verständnis oder eher unwillig? 
Eindeutig: Mit Verständnis. Ich habe meine Schreiberei lange geheim gehalten, weil ich Angst vor den Reaktionen von Familie und Freunden hatte. Was natürlich alles umsonst war. Sie haben sich alle dafür auf Anhieb begeistern können, wollten alles über meine Geschichte wissen, was mich natürlich in meinem Tun voll und ganz bestärkt, wenn ich sehe wie stolz sie auf mich sind. An der Stelle ein überaus großes Dankeschön an meine komplette Familie, die mich alle in allem was ich tue sehr unterstützen, egal ob mit Taten oder Worten. Danke!
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Wie bist Du dazu gekommen gleich mit einer Trilogie in das Autoren-Dasein zu starten, oder war das gar nicht Dein erstes Projekt?

Mein aller erstes Manuskript war ein Thriller, eher Psychothriller. Das ist und bleibt jedoch ein Schubladenmanuskript, mit fettem Vorhängeschloss davor, und es bekommt nie jemand in die Hände oder vor die Augen außer mir 🙂

Die Idee für die Welt der 4 Jahreszeiten kam mir beim Lesen von „Flieh, wenn du kannst“ von Joy Fielding. Geplant war eigentlich ein Einzelband. Nachdem ich meine Geschichte fertig hatte, habe ich sie meiner Cousine zum Lesen gegeben. In der Zeit habe ich nichts an dem Text gemacht, stattdessen spuckten weitere Ideen in meinem Kopf herum und ich habe die Zeit damit verbracht diese irgendwie mit der schon bestehenden Geschichte zu verbinden. Das habe aber gar nicht richtig auf die Reihe bekommen. Ich überlegte ewig hin und her: Einzelband, zwei Teile, drei Teile, vier, fünf, sechs, …? Und habe es dann erst einmal als Einzelband an verschiedene Verlage geschickt. Da dieser jedoch über 600 Seiten hatte, habe ich ein paar Absagen bekommen mit der Begründung, dass der Text für einen Neuling einfach zu lang ist. Ab da habe ich mich dazu Entschlossen ihn in drei Bände aufzuteilen, was ich bis jetzt nicht bereue und für mich als Autor einfach einfacher ist. Aber leider (oder auch nicht) hat sich die Geschichte im Verlauf so stark verändert, dass sie sich nur noch ganz schwach mit den ersten Ideen ähnelt und ich so alles neu schreiben muss.
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Dürfen wir uns denn außerhalb der Welt der vier Jahreszeiten auf andere tolle Sachen aus Deiner Feder freuen?
Ja ☺. Ich schreibe zurzeit nebenbei in einem ganz anderem Genre, dazu möchte ich jedoch noch nichts näheres sagen, da ich mich selbst erst einmal überraschen möchte, wo das Ganze hinführt. Einen kleinen Einblick gebe ich euch jedoch: Es geht um Lena und Phin, die sich während eines Urlaubs in Thailand kennen lernen und dann … geht es weiter ☺. Es macht auf jeden Fall riesen Spaß das neben „Der Welt der 4 Jahreszeiten“ zu schreiben und ich freue mich jetzt schon darauf (Teja, du bist ja schon in den Genuss gekommen ☺), wenn es die Ersten lesen. Dazu kann ich jetzt schon einmal sagen, dass es der erste Teil einer (Wieder-) Trilogie ist und wenn alles so klappt, wie ich mir das vorstelle, er nächstes Jahr im Sommer unter dem Titel „Lena und Phin: Der Zauber eines Augenblicks“ erscheinen soll, worauf natürlich die zwei Bände folgen werden. Diese Trilogie nenne ich mein Zwischendurch-Projekt. Wenn die ich „Die Welt der 4 Jahreszeiten“ komplett abgeschlossen habe, folgt eine weitere Fantasy-Geschichte, über deren Umfang oder Titel ich bis jetzt allerdings noch nichts sagen kann.
Ja, ich kann schon mal sagen, was ich zu Lena und Phin bisher gelesen habe ist absolut toll! Ich habe wieder die tolle und wundervolle Aufgabe als Testleserin zu fungieren. *freu*
Melanie lacht
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Na dann bedanke ich mich vielmals für das tolle Gespräch, auch im Namen meiner Leser. Wir freuen uns schon jetzt auf den letzten Band, vielleicht sprechen wir uns dann ja wieder? 🙂
Ich bedanke mich und es hat mir riesen Spaß gemacht deine Fragen zu beantworten 🙂

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L.E.S.E.P.R.O.B.E.

 

 

Prolog
Das kleine Rotkehlchen ist zu schwer für den Zweig. Ein schmaler Zweig, der von Weitem nur als dünner Faden zu erkennen ist. Das zierliche Vögelchen, das in der Welt der 4 Jahreszeiten als Tröster und Problemlöser gilt, hat sich darauf abgesetzt. Als das Ästchen unter seinen schmalen Füßen nachgibt, flattert es erschrocken mit einem schlackernden Zip-Zip … davon. Der Zweig schnalzt erleichtert nach oben. Eine Weile schaukelt er noch in weichen Bewegungen auf und ab, bis er seinen alten Standpunkt wieder gefunden hat.
Das Rotkehlchen, dessen rote Kehle brennt wie der Debugvulkan, der in der Abendsonne des Herbstlandes genau von deren Strahlen getroffen wird, hat sich mittlerweile einen sicheren Platz gesucht. Weiter oben. Weiter dem Himmel entgegen. Weiter in der Freiheit. Weiter in der Luft.
Ob es auch meine Probleme lösen will? Was ist mein Problem oder habe ich mehrere? Ist es Fenja? Ist es der Weltuntergang, der unmittelbar bevorsteht? Ist es Sky? Emmet? Der Krieg? Der Frieden? Die Liebe? Oder bin ich es? Bin ich selbst mein Problem? Ich kann mir die lästigen Fragen bis in die Unendlichkeit stellen, doch eine Antwort werde ich darauf vermutlich nie finden. Sie ist weg. Endgültig. Genauer genommen ist es jetzt ein Problem weniger. Vielleicht ist aber genau DAS mein Problem? Oder fangen sie jetzt erst richtig an? Was soll ich nur ihren Eltern sagen? Wieder Fragen – wieder keine Antworten.
Die aufgehende Sommerlandsonne strahlt wie jeden Tag freundlich und heiter, als wäre alles in Ordnung, über das komplette Land. Das Rotkehlchen stimmt die ersten Strahlen mit einem wirren Knirschen an. Die Töne vermischen sich mit den verworrenen und schwer herunterhängenden Blättern der Trauerweide. Aber weder Blätter noch Knirschen gelangen jemals bis auf den Boden. Ich sitze unter der Weide und denke über die vergangenen Tage nach – über die einsamen Tage, an denen ich Fenja nicht mehr gesehen habe, und über die vorherigen, an denen sie hier war. Hat sie vielleicht recht damit, dass es für uns beide keine Zukunft gibt und dass alles keinen Sinn mehr macht? Kommt das Ende der Welt mit der Flucht des Sonne-Mond-Kindes? Nachdem Fenja sich in der Nacht, in der ich sie gegen ihren Willen zurückbrachte, aus dem Sommerschloss teleportierte, folgte ich ihr zum wiederholten Male. Ich stand nochmals bei den White Woods vor der Tür; sie halfen mir auf der Stelle bei der Suche nach ihr. Die halbe Nacht verbrachten wir in völliger Dunkelheit damit, den Weißen Zauberwald in der Nähe des Hauses zu durchkämmen. Doch nichts. Alles war vergebens. Wir haben sie nicht gefunden. Keine einzige Spur. Seit dieser Nacht finde ich keinen Schlaf mehr, seit dieser Nacht denke ich nur noch an sie – Fenja. Je mehr ich versuche sie zu vergessen, desto stärker wird meine Sehnsucht nach ihr. Es ist wie ein Fluch – sie ist wie ein Fluch. Ich hoffe für ihre Sicherheit, dass sie dort angekommen ist, wo sie hinwollte, und vor allem hoffe ich, dass sie Emmet oder möglicherweise auch Sky nicht in die Arme läuft.
Ich denke über die ganzen Worte, die sie mir an den Kopf geworfen hat, nach. Über unseren hingebungsvollen Kuss, der meinen Puls sogar jetzt noch schneller schlagen lässt, wenn ich mich daran zurückerinnere. Vor allem aber denke ich nicht nur an den Kuss und die Worte, die an meinen Kopf prallten, sondern auch an das Holzstück, mit dem sie ohne Erbarmen auf mich einschlug. Ich kann immer noch nicht fassen, dass sie das wirklich getan hat. Warum? Sie hätte auch mit mir reden können – aber sie wollte nicht.
Ich lasse mein Kinn nach vorne auf meine Brust sinken. Habe ich wirklich geglaubt, sie mit einem Kuss umstimmen zu können? In gewisser Weise war es Elenors Idee – zum Teil zumindest. Überrumpele sie doch einfach und zwinge sie dazu, dir zuzuhören, hatte sie in jener Nacht vorgeschlagen. Je länger ich über ihre Aussage nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Entschluss, dass sie vermutlich Fesseln und Knebeln damit meinte.
Ich fasse mir an die Schläfe, dort spüre ich noch immer die Verletzung, die sich tief in meiner Haut abzeichnet. Ich habe sie nicht von Rave heilen lassen. Die Wunde ist schließlich das Einzige, was mir neben meinen Erinnerungen von Fenja geblieben ist. Während dieser Gedanken schüttele ich den Kopf und ein kleines Lächeln bildet sich auf meinen Lippen. So weit bin ich schon! Bin ich verrückt, besessen oder habe ich einfach nur Liebeskummer? Ich hätte Fenja manipulieren können. Ich hätte ihr die Erinnerungen an ihr Zuhause und an das Weltenportal löschen können. Aber ich habe es nicht getan, denn so bin ich nicht. Hätte ich, würde sie, aber womöglich auch ich, mich jetzt hassen und ich wäre insgeheim nicht besser als Emmet.
Ich liebe sie! Ich liebe sie! Ich liebe sie! Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass sie mich schon fasziniert hat, als ich ihr das erste Mal im Wald begegnet bin. Meine vollkommene Liebe zu ihr gestand ich mir jedoch erst an dem Tag ein, an dem sie ihr erstes Kampftraining hatte. Sie stand mit solch einer Entschlossenheit vor mir und hielt kampfbereit ein Schwert in der Hand – ein Schwert, das fast genauso groß war wie sie selbst. Ihre Augen funkelten und ich sah das kräftige Blau, das sich in dem glänzenden Stahl der Klinge spiegelte. Zu dem Zeitpunkt hätte ich am liebsten mein Schwert fallen lassen, ihres weggeworfen und sie nur noch geküsst. Den ganzen Tag – mein ganzes Leben lang. Doch ein bestimmter Satz, der sich wie ein Wurm durch meinen Kopf wühlte, hielt mich davon ab. Und der war: Du musst sie töten! In jeder Faser meines Körpers steckt ihr Name. Fenja. Ich sehe sie in allem und jedem. In jedem Stein, der mein Schloss zusammenhält. In jedem Baum, den ich sehe, wenn ich aus dem Fenster blicke. In jedem Grashalm, der sich auf dem Trainingsgelände zeigt. In jeder Blume, die im Schlossgarten blüht. In jedem Buch, das in der Bibliothek steht. In jeder Fackel, die im Flur hängt, und vor allem in den traurigen Gesichtern von Amy, Gwen und Lilly.
Das reicht, Sisar!, befehle ich mir, atme tief ein und schwelle die Brust. Ich bin ein König, ich muss Stärke zeigen! Ich kann nicht wegen einer Frau in Selbstmitleid versinken. Dann lasse ich meinen Oberkörper mit einem lauten Seufzer sinken. Aber ich will es. Ich will einfach nur traurig sein. Ich will meinen Gefühlen einmal freien Lauf lassen. Mein ganzes Leben, schon seit meiner Kindheit, als meine Mutter starb, musste ich den Starken geben. Ich denke daran, wie es wohl wäre, wäre ich kein König, sondern nur ein normaler Bewohner in irgendeinem Dorf. Dort könnte ich in Frieden mit Frau und Kind leben. Mit Fenja? Mit Lilly? Doch welcher König säße dann an meiner Stelle? Vielleicht einer, dem es leichter fallen würde, das Sonne-Mond-Kind zu töten. So wie die anderen Jahreszeitkönige? Für den Moment denke ich an sie. Ja, ihnen würde es mit höchster Wahrscheinlichkeit leichtfallen, das Sonne-Mond-Kind zu töten – Fenja zu töten. Für sie ist sie nur … Nein, nicht nur! Für die Könige ist sie ein Mittel zum Zweck. Kein Mensch. Keine Frau. Keine Magierin. Sondern das Sonne-Mond-Kind, das Wesen, welches erschaffen wurde, um die Welt zu retten. In ihren Augen sollte sie das ohne Fragen und ohne Wenn und Aber vollziehen.
Die Könige haben vor ein paar Tagen mein Schloss verlassen. Doch zuvor haben sie noch ein ausführliches Gespräch mit mir führen wollen. An dem ich jedoch mehr mit den Ohren als mit der Stimme teilnahm. Ich hörte mir ihre Beschimpfungen und Beleidigungen an und schickte sie anschließend vom Schloss. Immer noch höre ich die zornigen Stimmen in meinem Kopf. Wir saßen zusammen im Großen Saal, einen Tag nach der Hochzeit und einen Tag bevor mich Elenor zu sich rief und verkündete, dass sich Fenja bei ihr aufhielt.
„Ich kann es nicht glauben, Sisar. Du hattest sie hier die ganze Zeit im Schloss und hast uns nicht darüber berichtet“, sagte König Anjo aufbrausend.
Ich konnte es am Anfang auch nicht glauben.
König Sadir, der seine Meinung über Fenja überraschend schnell geändert hatte, nachdem er erfahren hatte, wer sie wirklich war, schlug mit einer Faust auf den Tisch und erhob sich. „Hat sie deine Sinne so vernebelt, dass du nicht mehr weißt, für was wir sie brauchen?“ Er zeigte mit einem abwertenden Nicken zur Tür. „Wo ist sie überhaupt?” Sein Brummen vermischte sich mit dem Geräusch des nach hinten rutschenden Stuhls, der auf den Holzdielen ein schrilles Knirschen hinterließ und einen stechenden Schmerz in meinem Kopf auslöste. Der Schmerz begann in meiner Stirn, zog sich bis in den Hinterkopf und endete an meiner verletzten Schläfe.
Ja, sie hat meine Sinne vernebelt, und wie sie das hat! König Sadirs Frage konnte ich nur mir selbst beantworten. Ich hatte keine Kraft, den Mund auch nur für ein einziges Ja zu öffnen. In dem Moment konnte ich ihn ebenso wenig ausstehen wie Gwen und Fenja.
„Wie kannst du dir von einer Frau sagen lassen, was sie will und was sie nicht will?”, äußerte sich König Anjo nochmals zu dem Thema.
„Wärst du nicht der König von ganz Balear, würde ich dich als Verräter bezeichnen.” König Obilees Worte an mich waren auch nicht gerade nett.
„Und was war das mit Emmet? Was hatte sein Auftritt gestern Abend zu bedeuten? Hörte ich richtig, er hat sie an sich gebunden?“, fragte König Sadir und zeigte aus dem Fenster. „Jetzt verstehe ich auch die Aussagen, die sie während des Begrüßungsessens von sich gegeben hat.“ Wenn er jetzt nicht sofort den Mund hält, kann ich für nichts mehr garantieren, dachte ich.
„Ich rate dir, sie so schnell wie möglich zu finden, bevor er es tut. Zieht er sie auf seine Seite, sind wir so gut wie erledigt.“ Nach Sadirs Worten kehrte ich einen kurzen Augenblick an den Tag zurück, an dem Emmet sich an Fenja band. Ich stand vor der Bibliothekstreppe, vor der unsichtbaren Wand, und sah die beiden. Fenjas Blick in diesem schrecklichen Moment werde ich niemals vergessen. Ich sah, wie sie mit jeder Faser ihres Körpers versuchte von ihm loszukommen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ich bemerkte den geschlagenen Ausdruck, als sähe sie ihr komplettes Leben vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen. Bin ich mitschuldig daran, hätte ich die blöde Wand nicht herbeizaubern sollen? Ich sah auch nach dem schlimmen Erlebnis, als wir zusammen zu Esli und Carla aufbrachen, ihren wund geriebenen Hals und ihre rot geschwollenen Augen, die ich am liebsten mit meinen Lippen getröstet hätte. Aber auch ihre Stärke – wie sie mit den Umständen umging. Sie wollte mit mir darüber sprechen. Das war für mich ein Zeichen von Vertrauen.
Nachdem ich mir genug von den Königen angehört hatte und endlich meine Ruhe haben wollte, nahm ich all meine Kraft, die sich mittlerweile mit Wut vermischte, zusammen. So fiel mir einiges leichter. Ich erhob mich ruckartig und ließ meine Hände mit einem lauten Schlag auf den Tisch knallen. Gwen, die neben mir saß und die Worte der Könige ebenfalls wortlos mit angehört hatte, schreckte auf. Sie hatte mich wahrscheinlich noch nie so außer mir gesehen. Mit Bedacht umschlang sie meinen Arm, um mich etwas zu beruhigen. Dann ergriff ich das Wort: „Ihr habt doch alle gar keine Ahnung!“ Ich kniff meine Augen zusammen, um den Königen zu zeigen, dass ich ziemlich gereizt von ihren Aussagen war. Ich wollte ihnen zu verstehen geben, dass sie mich mit ihren Vorwürfen gefälligst in Ruhe lassen sollten. „Ihr solltet über niemanden urteilen, den ihr überhaupt nicht kennt! Ich möchte, dass ihr auf der Stelle mein Schloss verlasst!“ Ich wartete kurz und schaute zu Gwen, die mir mit einem hilfsbereiten Nicken zeigte, dass sie auf meiner Seite stand. „Alle!”, fuhr ich fort und richtete meinen Blick auf den Ausgang.
Die Könige sahen sich einvernehmlich an, standen beinahe gleichzeitig auf und verließen den Großen Saal. Wäre ich nicht so mit Selbstmitleid vollgesaugt gewesen, hätte ich mich darüber gewundert. Doch in dem Augenblick war ich einfach nur froh, ihre Gesichter nicht mehr sehen zu müssen.
König Anjo drehte sich noch einmal zu mir um. „Sisar, ich dachte, wir Könige treffen alle Entscheidungen gemeinsam. Ich hoffe, du hast mit dieser Handlung die Welt und unseren Plan nicht komplett in den Abgrund gerissen.“ Als ob ich seine Worte nicht hören würde, ließ ich mich auf den Stuhl sinken und er verließ kopfschüttelnd den Raum.
Sobald die Könige die letzten Schritte aus dem Saal taten, kam Ian herein und mein erster Gedanke, als ich ihn sah, galt wie gehabt Fenja. Er setzte sich und schaute mich böse an, weil ich ihm bei der Suche nach ihr nicht helfen wollte. Er sagte nichts und ich fragte nichts. Ian und Rave folgten Fenja und mir. Sie fanden mich am Morgen nach Fenjas wiederholter Flucht alleine vor dem Weißen Zauberwald. Ich hätte vor Wut den ganzen Wald zusammenbrüllen können, nachdem ich aufgewacht war und Fenja nicht an ihrem Platz vorgefunden hatte. Nicht nur die Wut floss zusammen mit brodelndem Blut durch meine Adern, sondern auch Schmerz, der sich bis zu meinem Herz durchfraß und dort verweilte. Ich war so aufgebracht. Ich habe zu ihnen gesagt, dass ich nichts mehr mit Fenja zu tun haben wollte. Ich habe sie verflucht. In dem Moment sah ich nur ihre schlechten Seiten – schlechte Seiten, die ich jetzt gerne neben mir hätte. Das Ganze hat Ian natürlich nicht gefallen. Ich werde nach ihr suchen, sie gehört jetzt zu meiner Familie, sagte er. Ob Fenja das genauso sieht?
Während die Könige nun endgültig das Schloss verlassen hatten und Ian schweigend neben mir saß, zerrten meine Wachmänner einen jungen Mann, den sie auf der Obstplantage beim Stehlen erwischt hatten, vor meine Füße. Hackt ihm die Hände ab!, hatte ich befohlen. Doch Gwen war dagegen. Er gefiel ihr, das konnte ich an ihren funkelnden Augen erkennen. Das erste Funkeln, das ich sah, seit Fenja verschwunden war. Lasst ihn laufen!, befahl ich erneut. Doch er ging nicht. Er ist immer noch hier. Denn er ist Fenjas großer Bruder – Nick. Vor meinen Augen sehe ich ihr Gesicht, welches Abscheu und Gemeinheit ausdrückte, als ich ihr von Nick erzählte und sie mir keinen Glauben schenkte. Ich hätte sie nicht so oft anlügen sollen. Dabei gibt es noch so viele Dinge, die sie nicht weiß.
Nachdem Nick berichtet hatte, dass er auf der Suche nach seiner kleinen Schwester war, wurde mir sofort klar, wer er sein musste. Miles hatte mir am Abend vor der Erhängung von Zoltan und Solon gebeichtet, dass Fenjas Bruder sich hier irgendwo in Balear aufhalten musste. Miles besuchte seinen Bruder Figo und dessen Frau Elaine, um ihnen von Fenjas Aufenthalt und ihren Fortschritten zu berichten. Das Ehepaar erzählte ihm, dass Nick verschwunden sei und dass sie glaubten, er sei auf der Suche nach seiner Schwester. In dem Augenblick war ich überrascht und wütend zugleich. Er hatte es tatsächlich durch das Weltenportal hierher geschafft, um Fenja beizustehen. Er musse sie sehr gerne haben. Doch wenn er es als Mensch zustande bekommen hatte, hierher zu kommen, wem würde es dann noch gelingen? Nick erzählte stolz, ohne Unterbrechung und ohne auch nur einmal Luft zu holen, bei einem Abendessen, dass ihm zwei Elfenkinder beim Überqueren des Balearmeeres geholfen hatten. Sie hatten ihm eine riesige weiße Taube zur Verfügung gestellt. Diese überaus großen Tauben sind für die Elfen das, was für uns Menschen die Pferde sind. Treue Begleiter, die uns überall hin folgen, und sollte es der Tod sein. Seitdem Nick hier ist, quält er mich jeden Tag mit Fragen über seine Schwester: Warum ist sie weg? Warum will sie denn nicht hier bleiben? Warum sucht ihr sie nicht?
Weil sie nicht gefunden werden will, ist meine tagtägliche Antwort. Warum? Warum? Warum? Immer wieder das eine Wort. Ich kann es nicht mehr hören. Wenn er auf mich zukommt und seine Lippen zu einem W formt, rolle ich die Augen und drehe ab. Soll er doch Gwen mit seinen Fragen durchlöchern. Mir wird klar, dass auf der Erde mehr Worte als in der Welt der 4 Jahreszeiten fallen. Ich habe keine Ahnung, wie es auf der Erde zugeht, ich habe auch keine Vorstellung davon, wie es in einer anderen Welt so anders sein soll. Die Menschen, die hier leben, wissen und sprechen nicht viel davon. Die, die sich für ein Leben auf der Erde entschieden haben, kommen nie wieder zurück. Miles sagt, dass die Erde moderner und fortgeschrittener ist. Er spricht nicht wirklich viel darüber. Vor ein paar Jahren habe ich meinen Onkel gefragt, warum nur wir in eine andere Welt reisen und keine Neuankömmlinge von der Erde zu uns kommen.
„Das ist ganz einfach, mein Sohn“, sagte er. „Das liegt daran, dass nur wir davon wissen. Die Menschen auf der Erde haben keinen Schimmer, dass es neben ihrer Welt noch eine andere gibt.“ Die Aussage „Ganz einfach“ machte mich ein wenig skeptisch. Früher oder später werden alle Geheimnisse gelüftet. Das ist nur eine Frage der Zeit. Ich war noch nie auf der Erde und mich zieht es ehrlich gesagt auch nicht dorthin. Aber jetzt, wenn ich weiß, dass Fenja …
Ich behaupte, dass Nick noch mehr spricht als sie. Oder wohl eher … anders. Vielleicht sollte ich es als „moderner“ bezeichnen. Worte, die ich noch nie in meinem Leben gehört habe und die für mich auch keinen Sinn ergeben.
Doch das ist nicht alles. Sky hat vor einigen Tagen das Winterland angegriffen. Während wir die Hochzeit von Ian und Amy in Frieden, ohne Kummer und Sorgen feierten (bis Emmet auftauchte und Fenja verschwand), wüteten Skys Leute im Winterland und vernichteten alles und jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. Tausende Überlebende und Verletzte sind mit mühsamen Schritten durch die Sommerschlossmauern gekommen. Sie haben geschrien und um Hilfe gebettelt. Geschrei, das mich jetzt noch bis tief in die Nacht verfolgt. Die Menschen, die wohlauf sind, haben wir auf dem Dorfplatz in vorübergehenden Lagern untergebracht, genauso wie die Verletzten. Jeder Tag entscheidet über Leben und Tod. Jeden Tag stirbt jemand und jeden Tag geht es jemandem besser. Rave tut sein Bestes und wird von Gwen, Amy, den Bewohnern und König Flarim – Obilees Vater – unterstützt. Auch Elenor hilft, wo sie nur kann. Sie kam vor ein paar Tagen mit ihren Anhängerinnen ins Schloss und bot ihre Hilfe an. Sie alle haben nach einem langen Gespräch beschlossen ihr Leben im weißen Zauberwald aufzugeben, als Elenor bei einer kurzen Reise durch das Herbstland erfuhr, dass Sky das Winterland angegriffen hatte. Sie alle wollen kämpfen und sie wollen vor allem eins … Rache. Einige von ihnen hatten Familie im Winterland – Familie, die bis jetzt noch nicht aufgetaucht ist und vermutlich nie wieder auftauchen wird.
Paela hatte eine Vision, als sie an Fenjas Gemach vorbeilief. Seitdem sagt sie jedes Mal, wenn sie mich sieht: „Sie kommt wieder, König Sisar.“ Und jedes Mal, wenn sie den Satz zu mir sagt, zerreißt es mir das Herz, weil ich nicht weiß, ob ich ihr glauben soll. Gleichzeitig würde ich sie am liebsten, wenn sie mir die Worte mit voller Zuversicht und einem Lächeln entgegenschleudert, vom Schloss werfen. Elenor hat mich jedoch davon abgehalten. Ich kümmere mich darum, sagte sie. Heute Morgen bin ich Paela über den Weg gelaufen, sie erwähnte nichts von Fenja; trotzdem musste ich an sie denken, als ich sie sah.
König Obilee liegt schwer verletzt in meinem Gemach. Er ist noch nicht aufgewacht. Ihn traf mit voller Wucht eine unerwartete Attacke von Skys Kriegern. Seine schwangere Frau Emelie weicht keinen Schritt von seiner Seite.
Warum?, frage ich mich diesmal. Warum konnte oder hat Sky schon vor der Sonnenfinsternis angegriffen? In den Jahreszeitchroniken steht geschrieben, dass er erst während oder nach der Sonnenfinsternis, wenn die dunklen Kräfte des Sonne-Mond-Kindes am stärksten sind, angreifen kann. Denn er ist erst dann dazu fähig die gesamte Welt zu übernehmen, mit genau den Kräften, die Fenja in sich trägt – geheime Kräfte, die niemand kennt und von denen keiner weiß, welche Auswirkungen sie auf die Welt haben werden, nicht einmal der Träger selbst. Aber warum? Alle sind ratlos. Niemand weiß, wie es weitergehen soll. Nicht einmal ich, der König. Und alle verlangen von mir, dass ich es wissen und ihnen den richtigen und den sicheren Weg zeigen soll.
Unter der Trauerweide geht für mich die Sonne auf, als Lilly auf mich zukommt. „Hallo, Daddy“, begrüßt sie mich und setzt sich direkt an meine Seite.
„Hallo, mein Spatz“, entgegne ich ihr mit einem Kloß im Hals und denke unwillkürlich an Fenja.
„Kommt Fenja denn irgendwann mal wieder?“, fragt sie mit einem Schniefen und spielt dabei mit gesenktem Kopf an meinem weißen Hemd herum.
Was soll ich ihr nur sagen? Soll ich mein eigenes Kind anlügen? Ich lege den Arm um sie und drücke sie fester an mich. „Ich glaube es nicht, Lilly“, sage ich mit gedämpfter Stimme. „Sie wollte wieder in ihre Welt. Zu ihrer Familie und ihren Freunden.“
Sie hebt ihr Köpfchen, wobei ihr hellblondes Haar nach hinten fällt. „Aber wir sind doch auch ihre Familie, oder etwa nicht?“ Dann kommt der Blick, der mich an Waldo erinnert.
„Nicht so richtig“, sage ich mit gebrochener Stimme. Es ist der Waldo-Blick, der mich jedes Mal aufs Neue meinen verstorbenen Freund und Begleiter sehen lässt. Es ist aber auch der Blick, der mir sagt, dass ich das Richtige tue. Ich wünschte mir, Waldo wäre jetzt in diesem Augenblick hier, damit ich mich mit ihm unterhalten kann. Ich vermisse ihn. Er war für mich nicht nur ein Begleiter, sondern auch ein großer Bruder. Jetzt weiß ich, wie er sich damals gefühlt haben muss, als Ranja das Leben verlassen hat. Nicht nur ihr eigenes, sondern auch das von Waldo und ihrer erst ein paar Stunden alten Tochter, die sie niemals kennenlernen durfte. Es ist, als hätte jemand ein Stück von mir entfernt und ein klaffendes Loch hinterlassen. Auch so wie meine Mutter bei meinem Vater, als sie von ihm ging.
„Daddy, es wird alles gut“, muntert Lilly mich auf und grinst mit ihrer immer kleiner werdenden Zahnlücke. Ich nehme sie fester in den Arm. Keinen Tag mehr könnte ich mir ohne sie vorstellen. Auch für sie muss ich stark sein. Besonders für sie! „Daddy, du zerquetschst mich“, protestiert sie mit einem hellen Kichern.
Ich drücke meine Lippen auf ihre Schläfe und sage leise: „Ich hab dich lieb.“
Sie niest.
„Gesundheit“, sage ich mit einem Schmunzeln und lege meine Hand auf ihre Wange. „Du bist ganz warm. Geht es dir gut?“, frage ich besorgt.
Sie befreit sich aus meinen Armen, steht auf und gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Ja, mir geht es gut. Ich hab dich auch lieb, Daddy“, erwidert sie. „Und wenn Fenja wiederkommt, dann hat sie dich auch lieb. Das weiß ich.“ Sie gibt mir nochmals einen Kuss und verschwindet hinter den bis fast auf den Boden hängenden Zweigen der Trauerweide. Sie glaubt, Fenja kommt wieder, genauso wie ihr Bruder und ihre Schwester. Rave sagt, sobald sie erfährt, dass sich Nick im Sommerschloss aufhält, wird sie zurückkommen. Ich überlege, was ich machen würde, würde sie jetzt auf einmal vor mir stehen. Könnte ich ihr verzeihen? Wäre ich wütend? Aber sie kommt nicht mehr. Nie wieder! Ich schnaufe laut aus und stemme meinen Kopf gegen den harten Baumstamm. Die raue Rinde bohrt sich in meine Kopfhaut und ich empfinde es als angenehm, denn das Gefühl lenkt mich für kurze Zeit ab. Bis auf ewig würde ich mich am liebsten unter dem großen Baum verstecken und an nichts mehr denken. Nicht an das, was war, und nicht an das, was noch kommen wird. Einfach an nichts!
Durch ein Rascheln der Zweige gestört, öffne ich die Augen und erblicke Gwen, die lächelnd meinen Trauerweidenraum betritt und sich wie Lilly dicht neben mich setzt. „Sisar?“, sagt sie und legt mir behutsam eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß, dass du sie vermisst, aber …“
„Ich vermisse sie nicht nur, Gwen.“ Ich lasse sie nicht aussprechen und senke den Kopf, so dass mein Kinn beinahe den Brustkorb berührt. „Ich kann nicht mehr ohne sie leben. Ich vermisse alles an ihr. Ich versuche sie zu vergessen, doch es geht einfach nicht. Wenn ich meine Augen schließe, steht sie vor mir, und wenn ich sie öffne, erinnert mich, egal wo ich hinsehe, einfach alles an sie. Ich kann einfach nicht aufhören an sie zu denken. Sie ist schon ein Teil von mir und ich weiß nicht, wie ich ohne sie weitermachen soll. Sehe ich blonde Haare, sehe ich sie. Sehe ich blaue Augen, sehe ich sie. Ich vermisse ihre Stimme, die sich innerhalb von 100 Wörtern 100 Mal verändert. Durch hohe und tiefe Töne, durch liebevolle und wütende Stimmlagen.“ Ich halte kurz inne. „Ich liebe sie.“ Ich vermisse ihre seidenweiche Haut, die ihren zierlichen Körper umhüllt. Ihre sanften, blutroten Lippen, die meine mit einer vorsichtigen Zärtlichkeit berührt haben, wie ich es noch nie erlebt habe, spreche ich in meinen Gedanken aus. Worte, die meiner Meinung nach nicht oder noch nicht für Gwens Ohren bestimmt sind. Doch es gibt bestimmte Worte, genau gesagt drei, die ich am liebsten den ganzen Tag zu Fenja sagen möchte. Und die sind: Ich liebe dich. Jetzt lehne ich niedergeschlagen meinen Kopf zum wiederholten Male gegen die Rinde. Endlich konnte ich einmal alles aus mir herauslassen, auch wenn Gwen im ersten Moment sprachlos, wie versteinert neben mir sitzt.
Ich denke an den Abend zurück, an welchem ich Fenja betrunken ins Bett brachte. Sie hat es gesagt. Sie hat gesagt, dass sie mich liebt. Doch ist eine betrunkene Liebeserklärung ernst zu nehmen? Auf Amys Hochzeit war sie über ihre Worte nicht sehr begeistert. „Sie ist es, Gwen“, flüstere ich. Und damit meine ich, sie ist die Frau meines Lebens.
„Miles wird sie zurückbringen. Er bewacht das Portal“, sagt Gwen schließlich, um mir nicht die Hoffnungen zu nehmen. Doch welche Hoffnungen? „Und an den Elfen muss sie auch erst einmal vorbeikommen“, fährt sie fort.
Damit hat Gwen allerdings recht. Ich habe, nachdem Skys Armee das Winterland angegriffen hat und nach Absprache mit dem Elfenkönig, Wachen vor dem Portal postiert. Dadurch will ich verhindern, dass die Erde in Gefahr gerät.
Ich drehe den Kopf in Richtung meiner Schwester. „Ich habe das Gefühl, sie schon mein ganzes Leben lang zu kennen.“
Gwen zuckt mit den Schultern. „Vielleicht kannst du dich an sie erinnern.“ Sie zieht ihre Mundwinkel nach unten. „Du warst schließlich schon fast vier Jahre alt, als sie geboren wurde.“
Ich schüttele den Kopf. „Nein, kann ich nicht. Ich erfuhr erst mehr von dem Sonne-Mond-Kind nach meiner Krönung. Nachdem die Könige und die Gäste abgereist waren, hat mir Rave davon erzählt. All das, was nicht in den Chroniken steht. Was in jener Nacht passiert ist. Zumindest so, wie Rave es erfahren hat und kennt. Er war ja selbst nicht dabei. Aber Alino hat alles gewusst, die ganze Wahrheit.“
„Woher weißt du das?“, fragt Gwen und zieht skeptisch die Augenbrauen zusammen.
Jetzt ist Vorsicht geboten. Ich muss darauf achtgeben, was ich sage, denn niemand darf wissen, dass Carla und Esli sich im Sommerland aufhalten, und auf gar keinen Fall darf jemand wissen, dass Esli noch lebt. Niemand! Nicht einmal meine eigene Familie. „Er hat es erwähnt, bevor er starb“, sage ich schnell und weiche Gwens Blick aus. Ein kühler Hauch bläst durch die Weide und lässt die Blätter aneinander reiben. Dabei entstehen beruhigende Töne, die ich jetzt gerne ohne Worte genossen hätte, aber Gwen zuliebe rede ich mit ihr. Ich schweige schon seit Tagen und damit mache ich ihr sichtbar Sorgen. Ich habe ihr noch nicht erzählt, was bei den White Woods vorgefallen ist, und werde es auch nicht tun, es sei denn, sie fordert mich dazu auf. Das wird sie jedoch nicht tun – da bin ich mir sicher. „Kannst du dich erinnern?“, frage ich. Damit meine ich jene Nacht, in der Fenjas Familie auseinandergerissen und sie verflucht wurde.
Gwen trommelt mit ihren schmalen Fingern auf die trockene Erde, dabei formen sich Staubwölkchen, die, kaum sind sie entstanden, sich sofort wieder auflösen. „Nein. Ich kannte zwar Esli und Carla … also, ich kann mich noch an sie erinnern, aber ich wusste nicht, dass sie die Wächter waren, und auch nicht, dass Carla schwanger war. Das hat mich als Kind nicht sonderlich interessiert. Für mich waren sie einfach nur normale Menschen. Eben nur Freunde von Onkel Alino.“ Sie sieht mich an und kneift kurz die Augen zusammen, wobei sich auf ihrer Stirn eine Falte bildet. „An dem Abend, als alles passierte, haben wir vermutlich tief und fest geschlafen. Wie auch alle anderen, denn es hat niemand etwas mitbekommen. Mir ist zwar aufgefallen, dass Esli und Carla verschwunden sind. Aber Menschen kommen und gehen, habe ich mir damals gedacht.“
Ja, wie Fenja, bestätige ich in meinem Kopf. „Ich habe von alldem nichts mitbekommen.“ Innerlich stoße ich ein gehässiges Lachen durch meinen gesamten Körper. „Unser Onkel war gut darin, Geheimnisse für sich zu behalten. Doch die Zeit reichte anscheinend noch aus, Fenja mir zu versprechen.“ All die Jahre dachte ich, es gäbe keine versprochene Frau für mich. Umso schockierter war ich, als mir Gwen am Abend von Alinos Bestattung erzählte, dass Fenja mir versprochen wurde, was Esli und Carla nochmals bestätigten. Ich war der Meinung, ich könnte wählen, wen ich will. Doch meine Wahl wäre immer auf Fenja gefallen. Egal, wer sie ist oder wo sie lebt. Sie ist die Frau, auf die ich gewartet habe. Dem Anschein nach habe ich umsonst gewartet. Nie wieder werde ich jemanden so lieben können wie sie und diese Liebe, die in mir wie eine tiefe Wurzel steckt, wird niemals verblassen. Im Gegenteil – sie wird von Tag zu Tag, mit jedem einzelnen Atemzug stärker. Jedes Luftholen lässt eine neue Wurzel entstehen und sie wächst und wächst, bis ich eines Tages vor Kummer nicht mehr atmen kann.
„Was ist jetzt mit Fenja?“, fragt Gwen in einem leisen und zarten Ton, den die raschelnden Zweige beinahe verschlingen. Hat sie etwa Angst vor meiner Antwort?
Ich sehe sie an. „Sie will nicht hier sein, Gwen. Vielleicht sollten wir sie gehen lassen. Sie sollte dort leben, wo sie glücklich ist“, sage ich und lasse meinen Blick in die Baumkrone schweifen. Das nette Rotkehlchen ist verschwunden, doch meine Probleme sind geblieben.
„Aber du sagtest doch gerade …“
Ich wende mich ihr erneut zu und schaue sie mit glasigen Augen an. „Wenn sie in ihrer Welt glücklicher ist als hier … bei mir, dann werde ich das akzeptieren. Ich könnte es nicht ertragen, sie ihr Leben lang unglücklich zu sehen.“ Ich schlucke, halte kurz inne und versuche meine Betroffenheit vor Gwen zu verstecken. „Wenn sie nicht hier ist, kann ich sie wenigstens nicht töten.“ Über die Aussage muss ich erst einmal selbst nachdenken. Aus dieser Sicht habe ich mein Problem noch gar nicht betrachtet.
„Aber was wird dann aus uns und unserer Welt?“, fragt Gwen.
Ich schüttele den Kopf. Woher soll ich das wissen?
Am Abend, nachdem Gwen mich von meinem Trauerplatz losreißen konnte, sitzen wir alle beim Essen im Großen Saal zusammen. Niemand verliert ein Wort. Nicht einmal Nick, der seinen Platz wie jeden Tag neben Gwen findet, fragt nach seiner Schwester. Und auch nicht Amy, die seit Ians Rückkehr kein einziges Wort mehr über Fenja verlor. Muss ich mir etwa darüber Gedanken machen? Muss ich ihr Verhalten zu meinen ungelösten Problemen legen?
„Wo ist Lilly?“, nuschele ich in Gwens Richtung und hoffe, dass sie mich verstanden hat, denn ich möchte meine Frage nicht noch einmal wiederholen. Ich stelle mit jedem Tag, an dem Fenja sich nicht an meiner Seite oder in meiner Nähe befindet, mehr fest, dass Reden doch ziemlich anstrengend sein kann. Niemals musste ich so viel Stärke aufbringen, um den Mund zu öffnen und einfache Worte über meine Lippen fließen zu lassen.
Gwen schaut mich an, aber in gewisser Weise auch nicht. Sie wirkt eingeschüchtert. „Sie ist in der Küche. Sie wollte mit Jo und Ebba essen. Ich … ich glaube, sie wird krank.“
Mit einem Nicken zeige ich, dass ich ihre Antwort entgegengenommen habe. Lilly kann ich verstehen. Wer will schon bei der niedergeschlagenen Stimmung unter uns sein? Aber … krank? Mit zusammengekniffenen Augen sehe ich zu Gwen.
„Ich werde nach dem Essen mal bei ihr vorbeischauen“, schlägt Rave vor.
Ich nicke. „Danke, Rave.“ Sie ist wie ihr Vater. Ich merkte heute Mittag unter der Trauerweide schon, dass sich bei ihr eine Erkältung anbahnt. Waldo wollte es auch nie wahrhaben, wenn er krank war. Erst, wenn er sich nicht mehr rühren konnte, gab er uns recht. Ich reibe mir bedrückt den Nacken und fasse kurz entschlossen die Entscheidung, keinen Gedanken mehr an Fenja zu verlieren. Nun lache ich mich erneut innerlich aus. Das kann ich nicht! Ich kann sie nicht vergessen! Niemals! Dann bleibt mir offenbar nichts anderes übrig, als zu leiden. Still zu leiden und schweigend zu leiden. Ich muss mich damit abfinden, dass sie lieber in einer anderen Welt, ohne mich leben will. Wer möchte schon mit seinem Mörder in einem Schloss leben? Das wird den anderen zwar nicht gefallen, doch es ist das Beste für mich und bestimmt auch für Fenja.
Ich schließe meine Lider und denke an ihre schönen blauen Augen. Die Augen, die sich in mein Gehirn gebrannt haben, genauso wie Sky das Amulett auf ihren Oberschenkel. Die Narbe, die Emmet mit seinen dreckigen Fingern berührt hat, als er sie an sich gebunden hat. Ich drehe den Kopf zur Seite und verbanne mit zusammengepressten Augen die Bilder aus meinem Gehirn.
„Sisar, ist alles in Ordnung?“, höre ich Gwen ganz weit weg sagen.

In diesem Moment denke ich mich zurück unter die Trauerweide. Diesmal bin ich dort nicht mit Gwen oder Lilly, sondern mit Fenja. Alleine. Ich sehe sie direkt vor mir – im warmen Sonnenlicht, das durch die leicht tanzenden Zweige flutet und auf ihre helle Haut trifft. Ich sehe, wie sie lacht, wie sie weint, wie sie sauer ist, und ich sehe einfach nur sie. Ich wünsche mir, sie wäre hier – bei mir … Schnell werde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, denn die Realität lässt weder einen Wunsch noch einen kleinen Traum zu. Ich werde sie nie wieder sehen! Entmutigt öffne ich die Augen und schrecke auf. Vor mir taucht plötzlich eine gold-silberne Staubwolke auf, gefolgt von einem lauten Knall. Keiner rührt sich. Jeder schaut sprachlos auf den feinen Staub und wartet darauf, dass sich die Partikel in Luft auflösen.


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